Das Vermächtnis von Adolph Kolping


Dezember 09, 2018


Was wohl der 1865 verstorbene katholische Priester Adolph Kolping zu dem schmucken, weiß verputzten Reutlinger Kolpinghaus sagen würde? Und nicht nur zu dem renovierten Gebäude, sondern zu dem modernen Geist, der seit 2015 mit Hermann Rist, dem neuen Leiter, dort eingezogen ist? Sicher würde er sich freuen, dass seine Idee immer noch lebendig und ihre Umsetzung heute mindestens ebenso wichtig ist wie zu seiner Zeit.

Die Räume sind hell und freundlich, der Umgangston ist locker und entspannt – und die jungen Menschen aus verschiedenen Nationen genießen diese angenehme Atmosphäre und fühlen sich wohl. Das merkt man bereits deutlich, wenn man das Bistro im Eingangsbereich betritt: Hier liegen Zeitschriften und Spiele in Regalen aus, auf den Fensterbrettern stehen dicht an dicht verschiedene Grünpflanzen, an der Wand neben dem großen Fernseher hängt ein „Danke“-Plakat für die beliebte Bistro-Mutti, die am Abend die jungen Leute bedient – und der Raum wirkt nicht penibel ordentlich, sondern eher etwas kreativ-chaotisch. Das alles ist die zeitgemäße Weiterentwicklung der großartigen Initiative Adolph Kolpings aus dem 19. Jahrhundert.

Schließlich hatte Kolping 1849 mit der Gründung des Kölner Gesellenvereins den Grundstein für das „Kolpingwerk“ mit seinen Häusern zur Unterbringung und Betreuung junger Menschen in Ausbildung und Schule gelegt. Aus eigener Erfahrung wusste er, wie es jungen Handwerksburschen auf Wanderschaft zu seiner Zeit ging: Musste er doch bereits mit zwölf Jahren eine Schuhmacherlehre beginnen und später als Schuhmacher arbeiten, bevor er die Chance zum Theologiestudium bekam. Das hatte er nicht vergessen und schenkt mit seinen Lehrlingsheimen seitdem Generationen von Jugendlichen ein Stück „Heimat“ in der Fremde.

Die finanziellen Mittel für die Arbeit kommen – je nachdem, welche Instanz jeweils zuständig ist – vom Land, von den Lehrbetrieben, von der Jugendhilfe oder sonstigen Trägern. Damit sie ausreichen, muss man gut rechnen können und viel Eigeninitiative entwickeln.

Zu Kolpings Zeiten und sicher noch einige Jahrzehnte nach ihm verbrachten nur junge Männer Teile ihrer Lehrzeit in diesen Häusern. Doch das hat sich seit einigen Jahren geändert: Heute wohnen auch junge Frauen während der Schulzeit, der Lehre oder eines Berufspraktikums im Reutlinger Kolpinghaus. Noch viel zu Wenige, wie Hermann Rist findet. Und sie kommen ebenso wie ihre männlichen Kollegen aus verschiedenen Ländern. Sie sind geflüchtet wie die 16-jährige Aganesh aus Eritrea, deren Eltern tot sind und die an der Christian-Morgenstern-Schule in einem „Vorqualifizierungsjahr für Arbeit und Beruf für Jugendliche ohne Deutschkenntnisse“ vorerst einmal Deutsch lernt. Oder sie kamen als Au-Pair von Simbabwe wie die 24-jährige Audrey, die gerade ein freiwilliges soziales Jahr im Haus macht und als Berufsziel die Ausbildung zur Altenpflegerin anstrebt. Manche gelangen auch über die Jugendhilfe in die Obhut des Kolpinghauses – wie die 17-jährige Nadine, die aus einer Scheidungsfamilie stammt und schon viel Schlimmes erfahren hat. Sie lebte sogar eine Zeitlang auf der Straße …

Andere stellen im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes als „Bufdi“ ihre Fähigkeiten in den Dienst der Allgemeinheit und bieten Kurse in Malen, EDV, Deutsch, Theaterspielen etc. an – wie die 21-jährige Anna, eine Studentin der Erziehungswissenschaften. Oder sie sehen ihre berufliche Zukunft gleich ganz in der Arbeit im Kolpinghaus – wie Yvonne Abele, die stellvertretende Leiterin und Kollegin von Hermann Rist.

Aber – wie schon erwähnt: Momentan sind 85 junge Menschen im Haus, davon nur 15 Frauen. Insgesamt gehören zum Kolpingjugendwohnen in Reutlingen 165 junge Menschen, von denen einige immer ständig und andere die neben der praktischen Berufsausbildung im Betrieb nur blockweise im Kolpinghaus sind. Hermann Rist hofft, dass sich dieser Anteil im Zuge der Gleichberechtigung im Laufe der Zeit weiter erhöht. Denn die große Gemeinschaft, die verschiedenen Aufgaben, das Diskutieren und „Zusammenraufen“, bieten allen eine gute Schule fürs Leben – Männern und Frauen!



Amgard Dohmel